Alle sind geduldet in Aserbaidschan, nur nicht die Armenier. Die Einstellung zum verhassten Nachbarn ist überall im Lande spürbar und bei Vertretern aller Glaubensgruppen vertreten, der gemeinsame Gegner eint. Die Allee der Schigiten, der gefallenen Helden aus dem Konflikt mit dem Nachbarland 1992, liegt auf der windigen Höhe über der Bucht von Baku.
Im Gedenken schimpft man und schiebt noch immer alle Schuld auf die Politik Gorbatschows. Über die unerwünschten aserischen Flüchtlinge, die einfachen Leute aus den Bergen der von den Armeniern nunmehr besetzten Nagorno-Karabach-Region, schweigt man. Richtig integriert wurden sie nie und so sitzen manche in klagender Passivität noch heute in Flüchtlingslagern der UN — Azeris in Aserbaidschan.
Sheki ist ein seltenes Kleinod im bergigen Nordosten des Landes. Über 240 Höhenmeter erstreckt sich die Stadt. Schon früher schätzten Khane den Ort und wählten ihn zur Sommerresidenz. Restauriert beeindrucken vor allem die Malereien in den Räumen, sowie die Schekelen. Die bunten Glasfenster in allen möglichen geometrischen Mustern setzen sich aus tausenden kleiner Holz- und Scheibenteile zusammen. Eine albanische Kirche thront im kleinen Ort noch weiter oben, in Marchal. Anders als die Heldenallee ist sie ein Zeugnis der Einträchtigkeit. Der Ort war schon immer heilig, in vorchristlichen Zeiten befand sich hier ein heidnisches Heiligtum. Die Kirche von Marchal hat die Kirchenreform des Zaren und die Fusion mit der armenischen Kirche, sowie mehrere Baumaßnahmen überstanden. Sie gilt als so heilig, dass Wunderglaube die Konfessionszugehörigkeit überwiegt. Angehörige aller Religionen kommen zu Andacht und Bittstellung hierher. Eine muslimische Familie mit behindertem Kind umrundet die christliche Kirche dreimal andächtig und küsst nach jeder Umrundung die Kirchentür. Albanisch — ein irreführender Begriff, der nichts mit dem heutigen Albanien zu tun hat. Für den Kaukasus bezeichnet Albanien das Reich, das sich vom vierten Jahrhundert v.u.Z. bis zum arabischen Einfall im siebten Jahrhundert n.u.Z. auf dem Gebiet des heutigen Aserbaidschan erstreckte. In den letzten drei Jahrhunderten seines Bestehens war das albanische Herrscherhaus christlich.
Eine weitere albanische Kirche findet sich auch im Dorf Nich, auf dem Weg nach Gabala. Ganz neu wieder aufgebaut steht sie inmitten ausgedehnter Haselnusshainen, durch die sich die ein wenig matschigen Dorfstrassen schlängeln. Ein riesiges Labyrinth, ein ungewollter Irrgarten scheint das ganze Dorf zu sein. Die Schweine, die sich im Straßengraben suhlen, machen klar, dass es sich nicht um ein muslimisches Dorf handeln kann. Hier leben etwa 3500 Uden oder Udinen, eine wirklich winzige Minderheit. Schon Herodot habe die Udinen erwähnt und 4200, so sagt das selbsternannte Gemeinde- und Kirchenoberhaupt Robert Mobili, gäbe es im ganzen Land. Sie seien der einzige von einst 26 großalbanischen Stämmen, die Sprache und Glauben bewahrt hätten. Und eine der wenigen Gemeinden, die das udinische Glaubensbekenntnis 150 Jahre lang, nachdem auf Zarenerlass die albanische mit der armenischen Kirche unifiziert wurde, aus Protest zuhause weitergepflegt hätten. Nun strebt man hier im Dorf danach, als eigenständige Kirche anerkannt zu werden. Bei der verschwindend geringen Anzahl der Glaubensangehörigen, dem fehlenden Regelwerk und der nicht existenten Ausbildung von geistlichen Kräften etwas unbescheiden, mag der Besucher denken. Damit dieser jedoch die Nachricht von der Renaissance des albanischen Kirchentums in die Welt trägt, tischt man im Dorf Nich kräftig auf, bis sich die Teller stapeln und der Gurkenwodka leert. Auch hier wird der Trinkspruch auf das glaubensliberale Aserbaidschan und seinen Präsidenten nicht vergessen. Wieder stimmen offizielle Vertreter aus Ministerien und Lokalpolitik mit ein. Und alle spachteln bei allem, was im christlichen Dorf so auf den Tisch kommt, kräftig mit.
«Land des Feuers» nennt sich die Republik am Kaspischen Meer tourismusträchtig — wegen des Gases das an manchen Orten austrat, sich entzündete und dann über Jahrhunderte hinweg nicht erlosch. Erst der industrialisierte Ölboom brachte sie zum Versiegen, er grub den natürlichen Quellen das Gas und damit der mehrere Jahrhunderte anhaltenden Zarathustra-Religion das Wasser ab. Ökologisch angehaucht verehrte diese das Naturphänomen der endlos brennenden Quellen. Ihre Vertreter, auch Feueranbeter, Zarathustrier oder auch Zoroastrier genannt, kamen aus Indien und kasteiten sich in Askese. In den Zellen des Feuertempels lagen sie auf glühenden Kohlen oder legten sich in unerträglich schwere Ketten, um auf den Weg der Rechtschaffenheit zu gelangen. Die Pilger kamen aus Indien, lebten von Almosen, die am Rande der Seidenstraße für sie abfielen, jedoch getrennt von der übrigen Bevölkerung und in ständiger Buße. Ihre Verstorbenen ließen sie von Geiern auf den Plattformen der Feuertürme entsorgen. Der Atash Ka Feuertempel auf der Halbinsel Abscharon gehört zu einem der meistgenannten Sehenswürdigkeitn des heutigen Aserbaidschan, obschon seine Umgebung im Reiseführer als unromantisch beschrieben wird. Ein zutreffender Euphemismus. Als Wohngebiet in Mondlandschaft ließe sich die mit kleineren Ölpumpen gesprenkelte Gegend beschreiben. Die letzten Zoroastrier verließen den Tempel im 19ten Jahrhundert und die heute in der Mitte der Anlage züngelnde Flamme speist sich aus der hauptsächlichen Gasversorgungspipeline von Baku. Die Halbinsel Abscharon zählt zu den verseuchtesten Gebieten der Welt. Doch auch an Küsten und im Inneren hat Ölboom seit Beginn des 20. Jahrhunderts und auch die sowjetische Planwirtschaft Einiges verwüstet. Verlassene und vor sich hin rostende Bohrtürme säumen die Küste, in den Ebenen hat Baumwollwirtschaft die Böden versalzen lassen, in den Bergen sind Wiesen überweidet. Auch die Schwerindustrie forderte ihren Tribut. Vor der Stadt Genca, die sogar per Flughafen zu erreichen ist, steht das Mausoleum des überaus gerühmten Poeten Hisami, der im 12ten Jahrhundert hier geboren wurde und lebte. Hisami gilt als Koryphäe der orientalischen Literatur, berühmt für lediglich fünf Poeme — verfasst in Persisch. Dennoch gilt er heute als aserbaidschanischer Nationalpoet. Im übermanngroßen Denkmal neben dem marmorgefließten Mausoleum umgeben ihn die Figuren seiner Dichtung — zwischen ihnen fällt der Blick auf das Aluminiumwerk der Stadt. Das Relikt aus Sowjetzeiten produziert heute wieder, mit allerdings 500 statt der 3000 früheren Beschäftigten. Die Erde rundum ist für Kilometer rot vom Staub und Reststoff aus dem Aluminiumwerk. Dieser wird ständig berieselt, trocken würde er vom Wind über das Land verteilt. Eine Viertelstunde Busfahrt weiter zeigt ein muslimischer Friedhof schlanke Stelen, zuweilen von Turban oder Fez gekrönt. Gräber sind von blitzenden Blechdächern überschattet, auf deren Ecken der Halbmond thront und deren Giebel raffiniert durchbrochene Metallborten zieren. Das Grab eines Mohammedenkels macht den Ort zur Pilgerstätte, den mit grünem Tuch umwickelten Sarg umkreisen Besucher dreimal, nicht ohne ihn ehrfurchtsvoll mit den Lippen zu berühren.